17.02.2024

Melanchthon als Geschichtsschreiber


Bildtext: Der amerikanische Wissenschaftler Dr. Mark A. Lotito (Mitte) erhielt den Melanchtonpreis der Stadt Bretten von Oberbürgermeister Martin Wolff (links). Die Laudatio auf den Preisträger hielt der Direktor der Europäischen Melanchthon-Akademie Prof. Dr. Günter Frank (rechts).

Verleihung des Melanchthonpreises der Stadt Bretten an den amerikanischen Wissenschaftler Dr. Mark A Lotito

Der Melanchthonpreisträger 2024 weitet den Blick auf Philipp Melanchthon und unterstreicht seine Position als Universalgelehrter und im Besonderen als Geschichtsschreiber. Dr. Mark A. Lotito fesselte bei seinem Festvortrag anlässlich seiner Ehrung im Melanchthonhaus seine Zuhörer. Er schilderte, wie er als Amerikaner mit deutschen Wurzeln dazu kam, sich mit der „Carions Chronik“ und Philipp Melanchthon zu befassen. Natürlich hat es etwas mit seiner Familie zu tun: Sein deutscher Großvater war Professor für Religionsgeschichte. Hinzu kam seine Schulausbildung, die er an einer Lutherischen Schule absolvierte, wo er in Latein, Deutsch und Theologie unterrichtet wurden. Aber es scheint am Ende eine Reise nach Wittenberg gewesen zu sein, die ihn zu seinem Thema für seine Dissertation führte, deren Veröffentlichung nun als wertvoller Beitrag zur Melanchthon-Forschung mit dem Preis der Stadt Bretten ausgezeichnet wurde. Eine Ausgabe von „Carions Chronik“ lag dort im Wittenberger Melanchthonhaus in der Vitrine, sie machte ihn neugierig und stieß seine Untersuchungen an, die ihn rund 20 Jahre später zu dieser Feierstunde ins Melanchthonhaus Bretten führten.

„Carions Chronik“ und Philipp Melanchthon, wie kommt das zusammen? Hinter dem Namen Carion verbirgt sich der Humanist Johannes Nägeli, mit dem Philipp Melanchthon während des gemeinsamen Studiums in Tübingen zusammentraf. Er war es, der das geschichtliche Werk verfasste, das Melanchthon vor der Drucklegung in Wittenberg korrigierte und ergänzte. Somit wurde die Chronik zu einem Teil seines Schaffens und avancierte zu einem Zeitpunkt, da die Geschichtswissenschaften in den universitären Kanon aufgenommen wurden und die Druckkunst die Verbreitung erleichterte, zu einem Bestseller der Lehre in ganz Europa, von Island bis in die Türkei.

Durch die vielfachen Editionen innerhalb des 16. Jahrhunderts, den damit verbundenen Ergänzungen und Übersetzungen in viele Sprachen, erfuhr die „Carions Chronik“ Veränderungen. Es ist Lotitos Verdienst, dass im Rahmen seiner Arbeit nun ein Verzeichnis aller Ausgaben der „Carions Chronik“ vorliegt, das 95 Seiten der 500 Seiten umfassenden Schrift einnimmt. Für die Melanchthon-Forschung bildet schon alleine dieser Part einen enormen Gewinn. Diese Textgeschichte und das durch diese Schrift sich schnell verbreitende veränderte Geschichtsbild, das das Werk vermittelte, waren es schließlich, die die Forschungsleidenschaft des Amerikaners befeuerte. Melanchthon entwickelte in der Bearbeitung des Bands von Carion Ideen, „die für den politischen Diskurs in Europa von bleibender Bedeutung waren“, so seine These. Mark A. Lotito stellt fest, dass der Universalgelehrte aus Bretten „Carions Chronik“ dazu nutzte, die päpstlich-politischen Theorien aus dem Mittelalter zu widerlegen. Er argumentierte patriotisch, um sich gegen eine Beteiligung der Kurie an politischen Angelegenheiten des Reiches auszusprechen. Diese Sicht der Vergangenheit unterstrich neben dem nationalen Aspekt auch die Bedeutung der Reformation. Für den Wissenschaftler kommt dies „einer Revolution im historischen Denken“ gleich. Welche Bedeutung diese ursprünglich redaktionelle Arbeit an der „Carions Chronik“ in Melanchthons Œuvre hat, beweist für Lotito die Tatsache, dass Melanchthon und später sein Schwiegersohn Caspar Peucer sehr darauf bedacht waren, den Druck des Werkes zu kontrollieren. Schlechte Erfahrungen hatten sie Vorsicht gelehrt, denn eine Fassung sollte den Kurfürsten von Brandenburg in ein schlechtes Licht beim Türkenfeldzug rücken lassen. Eine Fußnote ließ Mark A. Lotito auch noch dieses Rätsel lösen.

Selbst für den Direktor der Europäischen Melanchthon-Akademie Bretten, Prof. Dr. Günter Frank, ein ausgewiesener Kenner Melanchthons und seines Werks, hat die Veröffentlichung von Dr. Mark A. Lotito noch einmal sein Melanchthon-Bild verändert. Dies gestand er vor dem Festpublikum. In seiner Laudatio auf die mit dem Melanchthonpreis gewürdigte Forschungsarbeit betonte er, dass Melanchthon der Begründer „der Säkularisierung der Universalgeschichte“ sei. Dies mache die Chronik vielleicht zu dessen „wirkungsmächtigster Schrift, die ihn zu einem einflussreichen Staatstheoretiker und Verfassungsrechtler werden ließ.“ 

Melanchthon als Geschichtsschreiber und das Lernen aus der Geschichte, um kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden – diesen Bogen schlugen die weiteren Redner der Festveranstaltung und betonten einmal mehr in diesem Rahmen die Aktualität Melanchthons. Pfarrer Dietrich Becker-Hinrichs, Vorsitzender des Melanchthonvereins, machte deutlich: „Die Geschichte lehrt uns, wie Kriege entstehen und wie schwer sie wieder einzudämmen sind.“ Brettens Oberbürgermeister Martin Wolff erinnerte daran, dass sich Melanchthon stets für den Erhalt des Friedens eingesetzt und viele Kompromisse geschlossen habe. Knut Bühler, der als Erster Landesbeamter den Landrat vertrat, stellte Melanchthons Forderung nach Bildung heraus. Diese sei auch heute die Basis für unsere Demokratie.  

Mark A. Lotito im Fürstenzimmer des Melanchthopnhauses vor einer Ausgabe der "Carions Chronik". Fotos: sus


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