Neukonzeption 2002/2003

Die Dauerausstellung des Melanchthonhauses setzt — neben den neuen museumspädagogischen und -didaktischen Systemen — neue Akzente im Melanchthonbild des beginnenden 21. Jahrhunderts. Durch die jüngste internationale Forschung haben wir ein umfangreicheres und dem tatsächlichen Wirken angemesseneres Bild Melanchthons gewonnen als Reformator, Humanist, Universalgelehrter, Schul- und Universitätsreformer und "Ökumeniker der Reformationszeit".

Dies hatte auch Prof. Nikolaus Müller, der Begründer des Melanchthonhauses, vor mehr als 100 Jahren erkannt, als er das Melanchthonhaus in dieser thematischen, kulturgeschichtlichen Weite konzipiert hatte. Die neue inhaltliche Akzentuierung der Dauerausstellung wird damit der ursprünglichen Konzeption des Melanchthonhauses in authentischer Weise gerecht.
 

Konzeption zur Neugestaltung

Bei dem Melanchthonhaus in Bretten handelt es sich um ein wohl einmaliges Bau- und programmatisches Denkmal zur Geschichte der Reformation, dessen historisierende, neugotische, zum Teil vom Jugendstil beeinflußte Gestaltung und Inneneinrichtung von überwältigender Stärke nur äußerst behutsame und in ihrer Eigendominanz stark reduzierte didaktische Maßnahmen erforderte.

Das Melanchthonhaus selbst wurde bei den Überlegungen zur Neugestaltung als wertvolles Exponat betrachtet. Deshalb wurde eine unaufdringliche Lösung für die bisweilen nicht einfach zu gestaltenden Räume entwickelt. Dabei wollte man nicht nur dem Haus, sondern auch Philipp Melanchthon als einer Lichtgestalt der beginnenden Neuzeit gerecht werden.

Den reich geschmückten und inhaltsschweren Räumen wurde mit einer eigenständigen modernen Gestaltung begegnet, die genausowenig den heutigen Zeitgeist ihrer Entstehung verleugnet wie das Haus auch selbst als gestalterisches Zeugnis des ausgehenden 19. Jahrhunderts ernst genommen und belassen wurde. Die eingesetzten neuen Didaktiksysteme vermitteln einen eindeutigen Kontrast zu den historischen Räumen und deren historisierender Einrichtung, ohne deren Atmosphäre zu beeinflussen.

Die Authentizität der Räume und ihrer Exponate wurde belassen, jedoch die bislang fehlende Didaktik, ein ausreichender Exponatschutz und eine moderne Präsentation gewährleistet. Konzipiert und umgesetzt wurde die Neugestaltung des Melanchthonhauses in den Jahren 2002 und 2003 von dem Kulturbüro Michael Schödel M.A., Reutlingen, in enger Zusammenarbeit mit der Museumsleitung.


Umsetzung

Allen angewandten Vermittlungssystemen ist eigen, daß keine wahrnehm- oder sichtbare Verbindung zur Architektur der Räume oder des Hauses erscheinen soll. Drei unterschiedliche Gestaltungssysteme kamen zur Anwendung, die durch eine zunehmende Entmaterialisierung in ihrer Erscheinung gekennzeichnet sind.


Informationstafel zur Hausgeschichte

Die mit dem Haus "direkt verbundenen", vor den Wänden des Hauses schwebenden Informationen zur Hausgeschichte sind auf speziell bedruckten eloxierten Aluminium-Tafeln ausgeführt, einer besonders edlen und werthaltigen Technik, die dem hohen handwerklichen Anspruch der Schmuck- und Detailausführungen des Hauses gerecht werden, sich als moderne Informationsträger jedoch auch deutlich von ihm abheben.


Gläserne Informationsstelen

Während die mit dem Haus geschichtlich und auch wahrnehmbar verbundene Didaktik in Form der metallenen Informationsträger einen stark stofflichen Charakter besitzt, wurde in den Räumen des Obergeschoses — in ihrer Ausgestaltung kaum mehr zu übertreffenden — Glas zum Vermittler von Information und Exponat.


Ganzglasvitrinen

Glas, zwar als materieller Träger greifbar, aber in seiner Transparenz nahezu unsichtbar, schien das einzig adäquate Material für den Gesamteindruck der authentischen Räume zu sein: präsent aber nicht störend.


Entsprechend wurden alle didaktischen Mittel, seien es Textträger oder Vitrinen, nahezu ausschließlich auch im konstruktiven Teil als transparente Glaskörper konzipiert und ausgeführt. Auf mattierten Glasflächen befinden sich, quasi freischwebend, die gut lesbaren Informationen.

Auch die Exponate in den Vitrinen werden wegen des besseren und neutraleren Kontrastes auf mattierten Glasflächen präsentiert.


Informationsträger als freischwebende Leuchtflächen

Als drittes Gestaltungsmittel wurde in einer weiteren Stufe zunehmender Entstofflichung ganz bewußt Licht als Vermittler von Information eingesetzt. Licht in seiner gegenüber Metall und Glas absolut reduzierten Materialität wird zum Träger all jener Informationen, die sich weniger mit dem Haus, dafür mehr mit dem Leben und Wirken der Lichtgestalt Philipp Melanchthons auseinandersetzen. Das Licht wird zum Vermittlungsträger, Bezug nehmend auch auf Melanchthons Theorie des "lumen naturale" — "dem natürlichen Licht im menschlichen Geist" — das geistige Licht, welches erst ermöglicht, die gesamte Wirklichkeit zu erkennen.


Informationsträger als freischwebende Leuchtflächen

So informieren beidseitig entlang der Längswände der Gedächtnishalle flache, in ihrer Form kaum wahrnehmbare, gleichsam auf Licht schwebende Leuchtflächen über die Lebensstationen und Wirkungsbereiche Melanchthons sowie über seine Verbindungen zu anderen Reformatoren und Denkern seiner Zeit.


Lichtdramaturgie in der Gedächnishalle

Eine sinnvolle Akzentuierung der wesentlichen Exponate der Gedächtnishalle geschieht ebenfalls mit Licht. Mit Hilfe einer ausgeklügelten Lichtdramaturgie werden die den Raum prägenden Wandgemälde sowie die überlebensgroßen Reformatoren-Standbilder und weitere ikonografische Besonderheiten des Raumprogramms in Szene gesetzt.

Erstmals kommen Details und die Strahlkraft der verwendeten Farben der bislang im Dämmerlicht des Raumes schlummernden Gemälde zu ihrer prachtvollen Wirkung.

Besondere Sorgfalt wurde den verwendeten Lichtquellen im gesamten Museum beigemessen. Durch die Sonderanfertigung von Spezial-Lampen konnte der bei den Wandgemälden, Büchern und Grafiken besonders zerstörerisch wirkende UV-Anteil im hier verwendeten Lichtspektrum völlig ausgeschlossen werden.


Hinterleuchtete freischwebenden Glasträger

Das Licht als Vermittlungsträger von Information spielt auch in der dritten didaktischen Maßnahme des neu gestalteten Melanchthonhauses eine zentrale Rolle:

Ähnliches vollzieht sich auf den Bildschirmen der neu konzipierten Medienstationen, wo technisch gesehen ein einzelner Lichtstrahl oder Lichtpunkt Erkenntnis schaffen soll, indem er sich zu Texten, Bildern oder Filmen formt, dabei licht- oder gedankenschnell Verknüpfungen zwischen mehr als 1500 Dateien ermöglicht.


Leittext als Glas-Stele und Medienstation

In jedem der Zentralräume des Melanchthonhauses befindet sich eine Medienstation, die über die klassischen Vermittlungssysteme der Text- und Bildanordnung in der Museumsdidaktik hinaus individuellen Zugang zu Leben und Werk des großen Reformators, interaktiv vom Besucher selbst zu steuern, ermöglicht.


Medienstation

Dabei befindet man sich im Startmenue der Medienstation zunächst im gleichen Raum — allerdings in einem virtuellen Raum, der als 360°-Rundumblick frei navigierbar Informationen über die ansonsten undokumentierten ikonografischen Raumprogramme durch Anklicken sogenannter "Hot-Spots" ermöglicht. In einer Welt der "Erfahrungen aus zweiter Hand", wo die Grenzen zwischen Virtualität und Realität zunehmend verwischen, scheint dieser Versuch, Realität und Authentizität des Museums über den zunächst virtuellen Zugang zu vermitteln, ein interessanter und neuer Ansatz.

Mit dieser zeitgemäßen und ansprechenden Medienpräsentation ist es möglich, Besuchern auch außerhalb der Gruppenführungen die wissenschaftlich auf dem jeweils neuesten Stand befindlichen Informationen in ungewöhnlicher Bandbreite vorzustellen.






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