Wissenschaft und Dialog im Geist des Universalgelehrten Melanchthon

23.07.2024

Zum Abschied von Prof. Dr. Günter Frank, dem Gründungsdirektor der Europäischen Melanchthon-Akademie Bretten

Über 25 Jahre stand der Name Prof. Dr. Günter Frank für die Erinnerung an Philipp Melanchthon in dessen Geburtsstadt. Als Kustos des Melanchthonhauses kam der promovierte Philosoph 1998 nach Bretten. Hier etablierte er durch die Einrichtung der Europäischen Melanchthon-Akademie Bretten (EMA), deren Gründungsdirektor er war, eine in der Fachwelt angesehene Institution der Reformations- und Frühe-Neuzeit-Forschung. Gleichzeitig gelang es ihm, Melanchthon als herausragende Figur der Geistes- wie Religionsgeschichte in der Region durch die museale Erneuerung der historischen Gedenkstätte zu verankern.

Es ging dem Wissenschaftler und Museumsleiter stets um die Gesamtbetrachtung einer Epoche, aus der Philipp Melanchthon mit seinen vielfältigen Wirkungsbereichen herausragt. Melanchthon ist für Günter Frank eine Lebensaufgabe, die sicherlich mit seinem Ruhestand, den er Ende Juli antritt, nicht abbrechen wird. Zu sehr hat der berühmte Sohn der Stadt Bretten sein (wissenschaftliches) Leben begleitet. Den Aspekt „Melanchthon als Philosoph“ hat der scheidende EMA-Direktor in die Forschung eingeführt. Seiner Ansicht nach war es der Brettener, der die religiöse Einsicht Luthers in ein wissenschaftliches System integriert hat, um sie den Menschen zu vermitteln. Dies hält er für Melanchthons größte Leistung. Franks Anliegen war es, Melanchthon aus Luthers Schatten herauszuholen. Für ihn war er viel mehr als ein Kirchenmann, sondern der Universalgelehrte, der zu allen Gebieten seiner Zeit Forschungen betrieben habe, die in ihrer Bedeutung weit über seine Zeit hinausreichen.

Melanchthon als Universalgelehrten zu etablieren, war Franks Anliegen seit seinem ersten Tag in Bretten, als er damals sein Büro unter dem Dach des Melanchthonhauses bezog, ein großer, im Sommer heißer, im Winter kalter Raum, in dem nicht nur er, sondern auch seine Mitarbeiterin ihre Schreibtische hatten. So wenig wie der Arbeitsplatz zeitgemäßen Ansprüchen gerecht wurde, so wenig entsprach auch die Gedenkstätte einem modernen Museum, das dem Image der Melanchthon-Stadt gerecht gewesen wäre. Im ehemaligen Brettener OB Paul Metzger hatte der Geisteswissenschaftler einen engagierten Mitstreiter im Bemühen um das Melanchthon-Erbe, der ihm in wenigen Jahren ermöglichte, nicht nur das Museum neu zu gestalten, sondern 2008 einen Neubau im benachbarten Strasserhaus mit einem gläsernen Verbindungsbau zum historischen Gebäude am Marktplatz zu errichten, das schließlich zur Adresse der Europäischen Melanchthon-Akademie wurde.

Marksteine der Erinnerungskultur wurden zu Stationen des kontinuierlichen Fortschritts: 1999, also kurz nach Prof. Dr. Günter Franks Einstand als Kustos, stand das Waldenserjahr an, das Eintreffen der Glaubensflüchtlinge aus Frankreich vor 300 Jahren, die im Kraichgau, aber auch andernorts Zuflucht fanden. Das Jubiläum bot Anlass zu einer Gesamtschau über die regionale Betrachtung hinaus, die in einer umfangreichen Ausstellung das Schicksal der Glaubensgemeinschaft dokumentierte und als Wanderausstellung auf Reisen ging. Diesem Projekt sollten unter Franks Federführung noch weitere Präsentationen folgen, die von Bretten aus teilweise europaweit Verbreitung fanden und zu kirchlichen Großereignissen, wie u.a. dem Treffen der christlichen Kirchen Europas 2006 im rumänischen Sibiu, Premiere hatten. Themen waren u.a. die europäische Bedeutung Melanchthons, religiöse Motive in Bildwerken des Ersten Weltkriegs oder jüngst das Septembertestament Luthers.

Zum 100-jährige Bestehen des Melanchthonhauses 2003 war bereits die Umgestaltung des Museums abgeschlossen, zum 450. Todestag Philipp Melanchthons 2010 wurden mit hochkarätigen Veranstaltungen vor allem in Bretten, aber auch an weiteren Orten dessen religiöse und kulturgeschichtliche Verdienste umfassend gewürdigt. Das Lutherjahr 2017 fand entsprechenden Widerhall und beleuchtete die Beziehung der beiden Repräsentanten der Reformation.

Daneben erfuhr die grafische Sammlung unter Dr. Franks Ägide eine grundsätzliche Aufarbeitung und die Bestände auch der bedeutenden Bibliothek eine kontinuierliche Erweiterung. Die Digitalisierung erfolgte in den vergangenen Jahren dazu parallel, was vor allem auf der Webseite mit digitalen Angeboten deutlich wurde. Dr. Günter Frank wird eine neugestaltete Homepage hinterlassen. Zum Internationalen Melanchthonpreis etablierte sich der Melanchthon-Schülerpreis, der jährlich vergeben wird, und ein Kunstpreis für Brettener Schülerinnen und Schüler verdeutlicht das Bemühen, ein generationsübergreifendes Angebot bereitzuhalten.

Wenn es um Melanchthon und die Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit geht, erwies sich der Direktor der Brettener Einrichtung als Experte in der ganzen Welt, der bei Kongressen und Tagungen die deutsche Forschung auf diesem Gebiet repräsentierte. Auf höchstem wissenschaftlichem Niveau vernetzte Frank die Europäische Melanchthon-Akademie mit Instituten und Hochschulen dieses Fachbereichs und brachte die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Tagungen nach Bretten. Das letzte Symposium zum „Humanismus“ in diesem Juni zeichnete jenes Gesamtbild der Epoche, ihrer Geistesströmungen und ihre Vertreter, das dem Wissenschaftler im Hinblick auf Melanchthon das erklärte Anliegen war. Der Kreis hat sich damit für ihn geschlossen.

Mit seinem Ruhestand verlässt Prof. Dr. Günter Frank nicht nur Bretten, sondern auch Baden-Württemberg. Er geht zurück nach Thüringen, nach Erfurt, wo seine wissenschaftliche Karriere mit dem Studium der Philosophie, der Theologie und Psychologie einst begann. Unweit von Erfurt ist er geboren, hier sind Teile seiner Familie, Freunde und Weggefährten noch zuhause. Der Abschied sei zweifellos „ambivalent“, gesteht er. Voller Dankbarkeit schildert er die gestalterische Freiheit, die er in Bretten bei der Ausübung seiner Aufgaben als Kustos des Melanchthonhauses wie als Direktor der Akademie besaß und die seine Habilitation wie auch seine umfangreichen Forschungsaktivitäten - zum Ansehen seiner Wirkungsstätte - ermöglichte. Die Entscheidung für Erfurt hat er schließlich bewusst getroffen. Aufgewachsen in der DDR hat er sich in der damaligen Bürgerbewegung aktiv engagiert und am politischen Umbruch teilgehabt.  Nach der Wende ging er für sein berufliches und wissenschaftliches Fortkommen in den Westen. Die Rückkehr in die Heimat ist eine Rückkehr auch zu seinen wissenschaftlichen Wurzeln. Während des Studiums nahm die Begegnung mit Melanchthon ihren Anfang, denn ihm widmete er bereits seine Doktorarbeit.